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AUSLEGUNGSSACHEWarum ich Bibeltexte übersetze
In dem Artikel möchte ich erklären, warum das Übersetzen von Bibeltexten für mich eine ›geistlich Übung‹ ist und sich ihr Ausformulieren auf Deutsch für mich mehr wie ›Kunst‹ als ›Wissenschaft‹ anfühlt.
Warum ich Bibeltexte übersetzeund was ich mir dabei denke
Die wichtigste Begründung dafür, warum ich Bibeltexte übersetzte, ist diese: Weil Gott den Wunsch tief in mich hineingelegt hat, Zugang zu biblischen Texten im Original zu haben. Deshalb habe ich bereits als Abiturient damit begonnen, Hebräisch zu lernen. Mit den Jahren habe ich mir Schritt für Schritt das erarbeitet, was mir notwendig schien, um kompetent und reflektiert mit den Texten der Bibel umgehen zu können. So habe ich nicht nur Hebräisch und Altgriechisch gelernt1 1 … und rudimentäre Kenntnisse in Aramäisch erworben. ausblenden, sondern mich auch mit Linguistik, Sprachphilosophie, Hermeneutik und den ›Grenzen der Interpretation‹ beschäftigt. Dazu gehörte auch, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie kunstvoll vieles in der Bibel gestaltet ist. Dieser Pfad des Lernens – an dessen Ende ich übrigens noch lange nicht angekommen bin – ist nicht nur Teil meiner Biografie geworden, sondern Teil meines Lebens mit Gott: Ich erlebe die Nähe Gottes und sein Reden, wenn ich biblischen Texten übersetzend begegne.
Bei meinen Übersetzungen geht es oft um mögliche Alternativen
Ich möchte deutlich machen, dass ich nicht der Meinung bin, dass meine Übersetzungen generell besser oder richtiger wären als andere. Aber sie sind anders und zeigen so, welche Lesart ein biblischer Text mit sehr guten Gründen eben auch erfahren kann. Natürlich fordern solche alternativen Deutungen die gewohnten heraus. Das ist dann aber eine sachbezogene und keine generelle Kritik. Diese durchaus auch kritischen Perspektiven möchte ich anbieten und zur Diskussion stellen, indem ich meine Übersetzungen hier teile. Ich wünsche mir, dass meine Übersetzungsschnipsel einen Beitrag dazu leisten, Bibel neu und in einer unverbrauchten Weise wahrzunehmen und neue Textbeobachtungen ermöglichen. Auch in dieser Hinsicht sehe ich uns Bibelleser:innen als eine Diskursgemeinschaft.
Von der Begegnung in der Originalsprache zur Deutung
Ich bemühe mich, einen Bibeltext in seiner originalen Sprache zu verstehen und ihn auf dieser Grundlage zu interpretieren. Das Verstehen und die Deutung sind das eigentliche Ziel dabei. Dabei hilft es, eine deutsche Übersetzung auszuformulieren, weil das ein feineres Gefühl für all die ›Horizonte‹ vermittelt, die ich gerade ›verschmelze‹. Eine Übersetzung auszuformulieren hilft so weiterzudenken. Sie ist also ein Nebenprodukt (kein Abfallprodukt!) meiner Interpretationsbemühungen, vergleichbar mit einem Seitengleis, das man zum Rangieren benötigt, um einen Eisenbahnzug in der richtigen Weise zusammenzustellen. Seitengleise ermöglichen es, Wagons zu sortieren, damit Güter effizient von A nach B und ein Teil davon vielleicht weiter nach C transportiert werden können. Wie das Rangieren ein nötiger Arbeitsschritt für den Transport von Gütern auf der Schiene ist, so ist das Ausformulieren einer Übersetzung ein Arbeitsschrift, der hilft, reflektierter zu einer Interpretation zu kommen.
Das bedeutet, dass meine Übersetzungen – wie übrigens jede andere auch – Interpretationen sind. Sie dokumentieren durchaus, wie ich zu einer bestimmten Zeit über einen Text gedacht habe. Oft gebe ich deshalb Auskunft über die Intention meiner Übersetzung.
Interpretationsfreie Übersetzungen kann es nicht geben
Keine Übersetzung kann alle Aspekte der Vorlage in die Zielsprache übertragen. Das heißt, dass jede Übersetzerin, jeder Übersetzer entscheiden muss, worauf hin er oder sie übersetzen will und was vom Original für dieses Ziel geopfert wird. Besonders herausfordernd sind solche Stellen in Texten, deren Sinn nicht eindeutig ist, sondern deren Aussage gerade in ihrer Vielschichtigkeit oder gar Uneindeutigkeit liegt. Auch da muss eine Entscheidung getroffen werden, wie die Bedeutung bzw. was davon ›hinübergetragen‹ werden soll. Es müssen immer irgendwelche Prioritäten gesetzt werden. Dieser Mangel im Bezug auf das Original muss durch Interpretation kompensiert werden, denn hier setzt die Frage an, was denn gemeint ist und wie sich das am besten in der Zielsprache ausdrücken lässt. Was gemeint ist, erschließt sich den Übersetzenden aber selbst auch nur durch verstehendes Lesen und fachliche Kompetenz. Doch die Vereinigung von persönlicher Lektüre mit dem fachlichen Wissen einer Forschergemeinschaft ist ein kreativer Prozess, der Deutungen beinhaltet. Lesen wir Übersetzungen, lesen wir mit unseren Augen und durch die Augen derer, die die Übersetzung erstellt haben und begegnen deren Deutung – was sich aushalten lässt, wenn die Übersetzenden kompetent waren und Klarheit über das Ziel ihrer Übersetzung besteht.
Wissenschaft oder Kunst? Das ist die Frage!
Auch wenn wissenschaftliches und historisches Arbeiten mit und an den Texten eine wichtige Voraussetzung für das Übersetzen sind, so betrachte ich das Erarbeiten einer Übersetzung als etwas, das über wissenschaftliche Methodik hinausgeht. Denn die Arbeit an einer Übersetzung entwickelt sich bei mir immer spürbar zu einem kreativen Prozess, der in Bezug auf seine Arbeitsweise letztlich ein künstlerisches Schaffen ist. Indem ich Bibeltexte übersetze, drücke ich mich künstlerisch aus, so fühlt es sich jedenfalls für mich an. Das bedeutet aber nicht, dass ich meine Übersetzungen per se als Kunst betrachte. Damit möchte ich lediglich das Wesen des Prozesses verdeutlichen, durch den sie erarbeitet wurden. Ob sie dann das Prädikat »Kunst« verdienen, mögen andere beurteilen. Ich selbst gehe eigentlich nicht davon aus.
Einige konkrete Hinweise zur Art meiner Übersetzungen
So nehme ich mir die Freiheit, mich vom originalen Wortlaut zu lösen, um auf Deutsch besser sagen zu können, was nach meinem Verständnis gemeint ist.
An anderen Stellen sind meine Übersetzungen aber auch wörtlicher als üblich. Dann geht es oft darum, eine Metapher, Synekdoche oder Metonymie des Originaltextes (oder auch ein anderes Stilmittel) unmittelbar in den deutschen Text zu übernehmen. Das tue ich, wenn ich denke, dass sich die Metaphorik auch auf Deutsch mit Gewinn nachvollziehen lässt2 2 Ggf. mit Hilfe einer Anmerkung. ausblenden. Das ist eine »Masche«, die ich mir unter anderem von der Übersetzung der Hebräischen Bibel von Martin Buber und Franz Rosenzweig abgeguckt habe.
Ein weiterer Fall für Wörtlichkeit nach meiner Prioritätenliste ist gegeben, wenn dadurch intendierte Bezüge zu anderen Texten (Intertextualität) leichter erkennbar bleiben.
Apropos ›Metapher‹ und ›Übersetzung‹
Übersetzt man das griechische Wort ›metaphorá‹ ins Deutsche, kommt man bei ›Übertragung‹ heraus. Als römische Rhetoren den Begriff Metapher ins Lateinische übersetzen, haben sie ebenfalls das griechische Wort ›nachgebaut‹ und sind zu ›translatio‹ gekommen. Mit diesem Hinweis möchte ich zwei Dinge zum Ausdruck bringen, ohne das hier ausführlich zu erklären: Erstens: Übersetzungen sind mit Metaphern verwandt. Zweitens: Der Übergang von der ›Übersetzung‹ zur ›Übertragung‹ in Bezug auf den Sprachgebrauch dieser beiden Wörter im Deutschen wird immer fließend bleiben. Das bewahrt mich allerdings nicht davor, unter meine Texte mal ›Übersetzung‹ und ein anderes Mal ›Übertragung‹ zu schreiben, weil ich3 3 … oder der Bereich meines Gehirns, der als neuronales Netzt dafür eben zuständig ist … ausblenden das jeweils so passend und richtig finde.
Sinn und Unsinn von Fußnoten
Die Übersetzungen hier sind unterschiedlich stark kommentiert. Je weniger Fußnoten zu finden sind, desto mehr ist es als eine Übertragung gemeint, die für sich sprechen darf. Gibt es viele Anmerkungen, handelt es sich eher um eine Arbeitsübersetzung, die dazu einladen möchte, an diesem Abschnitt eigenständig weiterzuarbeiten.
Doch weil ich Fußnoten sehr frei verwende, stimmt eigentlich nicht, was ich gerade gesagt habe. Deshalb überlasse ich es den Rezipierenden meiner Übersetzungen darüber zu befinden, ob eine Übersetzung in ihren Augen eher als Arbeitsübersetzung oder mehr als Übertragung zu verstehen ist.
Zum Schluss
Meine Übersetzungen dürfen gerne verwendet werden, wenn nachvollziehbar angegeben wird, wo sie herkommen. Weitere Hinweise zum Zitieren findet man hier.
Thilo Maußer